Jammern oder segnen?

Wir Deutschen sind im Ausland vielfach als „Jammerlappen“ verschrien. Die Einwohner anderer Länder sind scheinbar in vielen Dingen positiver gestimmt – etwa die Holländer, oder die Skandinavier. Man sagt uns nach, wir würden in vielen Dingen so arg negativ denken, klagen und so viel schimpfen. Eben das Leben etwas schwerer nehmen, anstatt alles etwas gelassener und leichter hinzunehmen. Stimmt das? – Nun ja, ich würde es nicht so schwarz-weiß malen. Ich bin eher dafür, die Sache doch etwas differenzierter zu betrachten. Trotzdem: Eine gewisse Neigung, ein Glas eher halbleer zu sehen als halbvoll, also eher einen gewissen Hang zum Pessimismus als zum Optimismus zu haben, das kann ich oft bei mir und bei manchen Zeitgenossen schon so beobachten. Wir ärgern uns doch sehr schnell und posaunen unseren Zorn doch auch schnell heraus! Wir jammern über die so miesen Umstände, die Ungerechtigkeiten in unserer kleinen Welt, schimpfen über diese und jene – vor allem über die Politiker! Als ob wir selbst alles besser wüssten und könnten! Nun rät uns die Psychologie, auch unseren Zorn mal so richtig raus zulassen, allerdings nicht auf Kosten und zum Schaden anderer! Indem wir sie etwa beleidigen oder mit Worten beleidigen und diskriminieren! Aber ich kann etwa mal einen Spaziergang machen und im Wald laut meinen Ärger heraus schreien! Andererseits ist dauerndes Jammern auch schädlich für meine Gesundheit. Negative Gedanken in mir drin belasten mich, vergiften meine Seele und auch meine Beziehungen! Mit einem Miespeter mag man es kaum aushalten, sich sein dauerndes Nörgeln nicht anhören! – In der Bibel finde ich ein interessantes Modell gegen das Schimpfen und Jammern, nämlich das Segnen! Haben Sie sicher schon mal gehört – in der Kirche oder bei irgendwelchen Jubiläen, wo man Leuten „Gottes Segen“ wünscht!
Der Segen in der Bibel, das sind Mutmachworte, positive Worte, die ich einem anderen Menschen sage. Wir würden vielleicht auch sagen: Komplimente, die ich austeile. Dort, wo ich einen anderen Menschen ermutige oder ihn lobe, gut über ihn rede, da verteile ich Segen! Das ist jedenfalls besser als jemanden zu kritisieren. Obwohl ich hier nicht behaupten will, dass man nicht auch in einem höflichen Ton Kritik verteilen sollte, wenn sie berechtigt ist. Das auch, aber eben nicht nur! Ich habe mir mal einen Satz von einem klugen Mann gemerkt: „Bevor du jemanden kritisiert, lobe ihn zehnmal!“ Keine schlechte Idee, auch wenn es hier nicht darum geht, genau abzuzählen! Es kommt auf die Balance an, auf das richtige Maß. Das gilt für die kleinsten Zellen der Gesellschaft wie die Partnerschaft oder Familie. Aber auch für die größere Gemeinschaft der Kommune und das Miteinander in einem Land. Wie gehen wir miteinander um? Sind wir Jammerlappen oder unbeherrschte Hassprediger? Oder können wir das rechte Maß halten durch Komplimente, also Segen und konstruktiver Kritik? Und auch noch diese Frage: Wie gehen wir selbst mit Beleidigungen um, die wir von anderen zu hören bekommen? Schlagen und vergelten wir zurück? Oder können wir das gelassen wegstecken, oder gar vergeben? Wir können durch unser Verhalten, durch unsere Worte, mit zu einer wohltuenden, angstfreien Atmosphäre in unserer Gesellschaft beitragen!

Rainer Platzek
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